Das Ego als Ursache innerer und äußerer Kriege

Es hat sich durchgesetzt zu behaupten man befände sich nicht in seine Mitte oder man fühlt sich nicht zentriert, wenn es einem nicht gut geht. Was meinen wir mit dieser Aussage eigentlich? Wenn es nicht unsere eigene Mitte ist, in der wir uns befinden, in welcher anderen Mitte sind wir dann?

Die Überlegung deutet schon an, dass uns etwas anderes vereinnahmt hat. Eine derart große Sogwirkung hat Asmita, ein Instrument unseres Verstandes, dass yogaphilosophisch berüchtigt ist. Eine Übersetzung aus dem Sanskrit lautet der Ich-Macher. Moderner sprechen wir von unserem Ego. Berüchtigt ist es, weil wir dabei an Rücksichtslosigkeit, Ellenbogen und Nazismus denken. Das Ego sorgt aber auch dafür, dass wir am Leben sind. Ohne Ego und im „Wir sind alle eins“ Dauermodus wäre unserem Selbsterhalt nur wenig gedient. Es kann sinnvoll sein sich von anderen abzugrenzen, für sich selbst zu sorgen oder seine Projekte umzusetzen. Dieser Mechanismus wird aber manchmal zwanghaft und dann zieht uns das Ego in die Egozentrik. Diese beschreibt den Zustand abseits unserer eigentlichen Mitte, die ich hier unser wahres Selbst nennen werde. Wir befinden uns dann im Mittelpunkt unseres Egos und bauen darum ein ganzes Orbit, oft begleitet von dem Gefühl „verrückt“ zu sein von unserem wirklichen Zentrum. Im Egozentrum geht’s nämlich stürmischer zu.

Der Ego Automat und seine Eigenschaften

Hat das Ego uns in seine Herrschaft gezogen, dann wird es zum Automaten, der Sticker produziert. Auf denen steht der Buchstabe „M“. Die Sticker machen aus „ein Haus“, „Mein Haus“, aus „ein Kind“, „Mein Kind“, aus „ein Geschlecht, „Mein Geschlecht“, aus „einem Partner“, „Meinen Partner“. Dieses „M“ zieht die materiellen Dinge der Außenwelt in unsere Innenwelt und erschafft Identifikation und Anhaftung damit. Der Ich-Macher sorgt dafür, dass ich mich als ein von den anderen getrenntes Ich wahrnehme und daran glaube, dass mir Dinge gehören. Diese Dinge verteidigen wir gegen andere.

Wir sind in dem Fall zwar zentriert aber eben um das Falsche und das verändert maßgeblich unsere Perspektive und Selbstwahrnehmung. Eine Beispielüberlegung: Was von den Dingen, die du während der Pandemie vermisst hast, brauchst du wirklich, wenn morgen schon das Atomkraftwerk um die Ecke in die Luft fliegen kann? Probleme sind durch unser Ego perspektiviert.

Das Ego gaukelt uns vor, wir bräuchten die Dinge im Außen, um uns gut zu fühlen und um unsere Persönlichkeit aufrecht zu erhalten. Daher ist es erschüttert und ent-täuscht, wenn diese äußeren Dinge nicht mehr da sind oder sich ändern. Werden wir hingegen mit unserer eigenen Endlichkeit (Atomkraftwerk) konfrontiert, bringt uns das wieder näher zu unserem wahren Selbst. Im Yoga Sutra 2.6 (Übersetzung Sriram) erfahren wir dazu:

“Drasta und Citta, d.h. das unsterbliche und sehende [Anm. das wahre Selbst] mit dem sterblichen und meinenden Selbst zu verwechseln ist Asmita [Anm. das Ego].“

Du kennst vielleicht Sätze wie „Glaube nicht alles was du denkst.“ oder „Du bist nicht deine Gedanken.“. Sie zielen darauf ab den Irrtum aufzudecken, dass unsere Persönlichkeit sich aus den gedanklichen Anhaftungen unseres Ego-Orbits konstruiert. Üblicherweise unterliegen wir diesem Irrtum etwa bei der Frage wer wir sind. Wir antworten „Eine Mutter, Ehefrau und Wissenschaftlerin“ oder „Ein Mann, Führungskraft und ACDC Fan“. Das sind alles Rollenzuschreibungen aus dem Ego-Orbit, die keine Aussagekraft darüber besitzen, wer wir wirklich sind. Das Ego mag uns als Teil des Geistes ein nützliches Instrument sein, dass wir für unsere Durchsetzungskraft sinnvoll einsetzen können, aber unser wahres Selbst liegt abseits davon.

Die kriegerischen Anteile des Egos

Immanuel Kant sagte:

„Jeder Mensch verfolgt seine egoistischen Zwecke, die denen der anderen zuwiderlaufen: Selbst sein soziales Wesen („die Geselligkeit“) vermischt sich mit antisozialen („ungeselligen“) Zwecken, weil er sich von der Vereinigung mit anderen Menschen wieder nur Vorteile für seine eigenen Zwecke verspricht.“

Kant mag es anders benennen aber der antisoziale Anteil in uns ist das kriegerische Element des Egos, das seine Besitztümer verteidigt und dessen Freiheiten ständig durch andere Menschen bedroht werden. Antisozial und egogetrieben werden wir, wenn unsere persönlichen Interessen sich mit denen anderer Menschen überschneiden. Diese Interessen könnten beispielsweise Familie, Karriere, Freunde, Autos oder Einhörner sein. Das entscheidet jeder individuell aufgrund von Konditionierungen und Lebenserfahrungen. Je bedeutsamer eine Sache für uns ist, je näher rückt sie ins Zentrum des Ego-Orbits. Je näher eine Sache diesem Zentrum kommt, je verletzlicher werden wir, was unter Umständen zu Konflikten und auch Kriegen führen kann. Wer Krieg sucht, muss also weder in die Ferne schweifen noch Nachrichten schauen. Der Schauplatz des Vedanta Grundlagentextes Bhagavad Gita ist ein Schlachtfeld, weil wir jeden Tag auf einem solchen stehen, wenn wir uns im Sog vom Ego befinden. Wir gehen in Gefechtsstellung gegen Menschen, die eine Bedrohung unseres Ego-Orbits darstellen, wenn wir damit identifiziert sind. Unser Ego will die uns wichtigen Dinge gerne beschützen. Das ist zwar nett gemeint, aber innere Kriege können wir erst dann auflösen, wenn uns bewusst wird, dass kein Einhorn dieser Welt uns Sicherheit geben kann.

Betrachten wir einen militärischen Krieg, so ist es eindeutig unserem Ego-Orbit geschuldet, dass uns ein Krieg nahe den Grenzen unseres eigenen Lebensortes mehr verunsichert als ein Krieg auf einem anderen Kontinent. Die Dramatik ergibt sich erst anhand unserer persönlichen Ego-Interessen.

Frieden mit dem Ego schließen

Der Weg zum Frieden führt nun nicht unbedingt dahin, dass nichts auf der Welt uns mehr etwas bedeuten soll. Es muss uns dabei nur bewusst sein, dass wir verletzbarer werden, je mehr uns eine Sache bedeutet durch den permanenten Wandel dieser Dinge. Im Yoga Sutra 2.15 (Übersetzung Sriram) heißt es:

„Dukha (das Leiden) wird ausgelöst durch die Vergänglichkeit, der alles Wahrnehmbare unterliegt, durch die Sehnsucht nach etwas, durch die Abhängigkeit von etwas, oder auch einfach durch Konflikte, die innerhalb von uns liegen. Dem empfindsamen Menschen ist die Allgegenwärtigkeit von Leid bewusst.“

Das Schöne ist, löst man sich von diesen falschen Vorstellungen der Ewigkeit, gibt es gar nichts zu verlieren, weil sie nur in unseren Köpfen existieren und der Wirklichkeit fern sind.

Wir können im Alltag gar nicht vermeiden in den Widerspruch zu anderen Ego-Orbits zu geraten, wenn wir Sozialkontakte haben. So kann es passieren, dass jemand anderer sich für einen von uns geliebten Menschen interessiert, jemand den gleichen Schritt auf der Karriereleiter anstrebt oder auch nur gerne die letzte Tomate im Supermarkt hätte. Tagtäglich marschiert eine Truppe in unser Land ein und übertritt Grenzen, die potenziell unsere Freiheit beschränken. Laut Kant hat sich die Natur etwas dabei gedacht. Er ist überzeugt, dass die Kombination von Geselligkeit und Ungeselligkeit den historischen Fortschritt antreibt. Hierin finden wir auch den Ausweg vom Schlachtfeld.

Statt in den Kampfmodus zu gehen und andere Menschen offensichtlich oder subtil zu bekämpfen, bei denen es zu Ego-Orbit Kollisionen kommt, geht es darum am Konflikt zu wachsen. Der Boxer Mike Tyson meinte in einem Interview, das Teuflische gewinnt am Ende immer, denn selbst wenn wir uns davon distanzieren, verändern wir uns dadurch und werden zu dem, was wir sind.

Wenn wir mit anderen nebeneinander friedlich existieren wollen, dann müssen wir aufhören uns so wichtig zu nehmen. Dafür müssen wir ab und zu aus „Meinem Herzschmerz“, „einen Herzschmerz“ werden lassen. Dazu benötigen wir mit dem Yoga Sutra gesprochen einen ruhigen Geist. Aus dem stürmischen Ego heraus setzen wir Waffen ein, die andere verletzen. Aus der Liebe als Essenz des wahren Selbst weitet sich unsere Perspektive und wir entdecken, dass es uns langfristig nur gut gehen kann, wenn es den anderen auch gut geht.

„Das Ego ist ein Eisberg. Lass ihn dahinschmelzen in tiefer Liebe, sodass er sich auflöst und du eins wirst mit dem Ozean“.

Osho glaubt es kann nur eines geben, den globalen Selbstmord oder eine spirituelle Revolution. Du kannst dich jeden Tag aufs Neue entscheiden, wofür du lieber einstehen möchtest. Letztlich entscheidest du welches Zentrum du stärkst, dein wahres Selbst oder dein Ego-Zentrum und das macht dich zu einem sehr machtvollen Wesen auf dem Weg zu mehr Frieden. Der Tod zeigt uns letztlich wonach wir im Herzen streben, denn kein Mensch ist je mit geschlossenen Fäusten gestorben.